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Galatia Sarandi: Flieder

  334 Wörter 1 Minute 986 × gelesen
2017-01-26 2022-10-12 26.01.2017
Galatia Sarandi 0001
Galatia Sarandi

Letzte Friedensmonate; zweiter Weltkrieg; deutsche Besatzung; Befreiung; Vorzeichen des Bürgerkrieges: Diese wechselvollen Zeiten durchlebt und durchleidet eine griechische Familie, deren Mitglieder, zum Teil eben erst der Kindheit entwachsen, in je eigener Weise bemüht sind, Menschlichkeit und Würde zu wahren und sich von umfassender Liebe, zu den Mitmenschen und zur Natur, bestimmen zu lassen. Galatia Saranti verfasste diesen weithin autobiographischen Roman noch unter dem frischen Eindruck des Erlebten und lässt uns an den mannigfachen Empfindungen und Gefühlen ihrer Figuren regen Anteil nehmen.

Leseprobe:
Aus Stravos konnte keiner viel herausbekommen. Er traf völlig abgespannt auf dem Landgut sein, und nachdem die ersten Gefühlsbekundungen vorbei waren, sank er in Schlaf. Erst am nächsten Mittag wachte er wieder auf. Mutter ging auf Zehenspitzen zu seinem Zimmer, äugte vorsichtig hinein, trat an sein Bett, um ihn die Decke zurechtzuziehen, und streichelte ihm die Haare, so wie nur Mütter zu streicheln wissen; die alles, um sich von nahem an seinem ruhigem Atem zu erfreuen.

Als er die Augen aufmachte, gewahrte er sie am Bettende sitzend und ihn mit Stolz betrachtend. Das tat ihm wohl. Es war seit jeher sein Bedürfnis; er brauchte es zum Leben, daß ihn beim Aufwachen zwei Augen liebevoll anschauten.

"Hast du dich ausgeruht?" fragte sie mit einem scheuen Lächeln, als wollte sie in diese wenigen Worte alle Fragen legen, die ihr auf dem Herzen lasteten. "Hast du dich ausgeruht?" - nichts weiter.

"Ha, Mama, ich fühle mich bestens", antwortete er fröhlich.

Das stimmte auch. Und als er später allein war, sagte er es nochmals, um sich am Klang dieser Äußerung zu erfreuen: "Ich fühle mich bestens!"

Draußen war Sonnenschein, die Bäume waren voller Blüten, schon ganz grün. (...) verlor all jenes seine drückende Last. Und wenn an Mutters Stelle Emma säße? Dann würde er sich vielleicht noch froher fühlen. Dann würde sein Blut warm aufwallen, heiße Wellen schlagen...

Galatia Saranti
Flieder
Übersetzung: Carl Wefelmeier
219 Seiten
Romiosini Verlag, Köln 2001
ISBN 3-929889-40-4